Das Vereinslokal: Herzstück im Vereinsleben

Vor dem Aufkommen der neuen Sportlerheime, die heute zumeist in Eigenregie betrieben werden, sind in früheren Jahren Vereinslokale ein zentraler Bestandteil des Vereinslebens, nicht nur in Melsungen, sondern auch den umliegenden Dörfern. Dazu zählen z.B. die Gasthäuser Schomberg in Kirchhof (SG 09) oder Wagner in Kehrenbach (FTSV). In der Kernstadt sind es für die MT 1861 das Gasthaus Eysel ( „Blechbüchse“ ) in der Kasseler Straße (heute Bäckerei Apel) und später die „Haspel“ in der Fritzlarer Straße von Georg „Schorsche“ Marten.

Der Melsunger FV 08 hat seine Heimstätte anfangs der 1950er Jahre im Gasthaus zur Post am Markt. Eigentümer ist Gastwirt Rudolf Müllermeister.

Vereinswirt Müllermeister (mitte) vor seiner Gaststätte sowie Tochter Maria Kohl (2.v.links) und Schwiegersohn Fritz Kohl (2. v.rechts). An der Hauswand ein Aushängekasten des MFV 08, darüber das Abzeichen des DFB. Als „Kleine Post“ wird das Traditionsgasthaus heute von Müllermeisters Urenkelin Martina Kohl in 4. Generation geführt.

Nach einiger Zeit wechselt das Vereinslokal vom Marktplatz in das räumlich größere „Deutsche Haus“ in der Kasseler Straße (heute Tchibo).

Im Saal des Deutschen Hauses bietet Gastwirt Benath Fußballfans zeitweise einen besonderen Service. Da Mitte der 1950er Jahre das Fernsehen im eigenen Heim noch nicht weit verbreitet ist, lädt er dazu in seine Gaststätte ein. Bei einem Eintrittspreis von DM 1,80 (inclusive 2 Getränke) kann man im TV übertragene Fußballspiele sehen. So erlebt der Chronist z.B. als Jugendlicher am 28.06.1959 das legendäre 5:3 n.V. von Eintracht Frankfurt gegen Kickers Offenbach im Finale der deutschen Meisterschaft. Auch bei der jährlichen Übertragung des englischen FA Cup Finales kommen dutzende Zuschauer ins Deutsche Haus, obwohl das Bild nur schwarz-weiß und klein ist.

Anfang der 1960er Jahre zieht der MFV 08 erneut an den Marktplatz, diesmal ins „Haus Ehle Zum Adler“. Die Betreiber des Lokals sind Georg „Ehlen Schorsche“ Müller und seine Frau Christa.

Das „Ehle“ wird für die 08er Fußballer zur Kultstätte. Im braunen Salon (wegen der Holzvertäfelung) findet am Freitagabend die Spielersitzung mit Bekanntgabe der Mannschaftsaufstellungen (zeitweise 3 Teams) statt. Im Gastraum vertreiben sich Spieler und Fans (u.a. „Limmeroths Erd“) die Zeit bis zur Bekanntgabe beim Skat, Knobeln oder Lügenpasch. Bei Feiern nach siegreichen Spielen am Wochenende geht es hoch her. Dabei springt mancher zur Abkühlung auch schon mal in Sportkleidung in den Brunnen am Marktplatz, bevor er zum Bier an der Theke zurückkehrt.

Das Ehepaar Müller versorgt die Mannschaften zu ihren Spielen auch mit den Halbzeitgetränken. Da auch im Winter durchgespielt wird, bekommt der Pausentee zum Aufwärmen noch einen tüchtigen Schluck Rum in die Kanne.

Als Gastwirt Otto Buchmann aus dem „Alten Kasino“ in die „Hubertusklause“ im Bachfeld wechselt, folgen ihm auch für einige Zeit die Fußballer des MFV 08.

Teilnehmer eines Fußballspiels prominenter Melsunger werden von Willi Semmler begrüßt: v.l.: Bürgermeister Dr. Erhart Appell, Otto Buchmann, 1. Stadtrat Jürgen Schmidt, Helmut Stelzig.

Mit der Ankunft von Wolfgang „Atze“ Tummescheit in Melsungen beginnt Ende der 1960er Jahre ein neues Kapitel in der Melsunger Gastronomie, welches auch den MFV 08 betrifft. „Atze“, ein echter Berliner Junge, der im Bad Wildunger „Cafe Schwarze“ kellneriert hat, eröffnet in der Kasseler Str. 64 eine Disko, die „Blockhütte“. Die Sache läuft für den Vollblutwirt „Atze“ sehr gut und nicht nur bei den Show Auftritten von Go-Go Girls ist der Laden brechend voll.

v.l.: Wolfgang „Atze“ Tummescheit und Robert „Poldi“ Serfling

Von der Disko wechselt „Atze“ für einige Jahre ins „Deutsche Haus“ und verwandelt es zum Tanz Cafe „Klein Berlin“. Als nächstes übernimmt der umtriebige Wirt das Waldhotel „Lindenlust“ und mit ihm ziehen die Fußballer des MFV 08 in ihr neues Vereinslokal. Als Fußballfan ist „Atze“ geprägt durch seinen Onkel, der im Vorstand des Fußballvereins Tennis Borussia Berlin agiert.

Die „Lindenlust“, die dank ihres Wirtes, dem Kultstatus des „Ehle“ nahekommt, bietet den Spielern von 08 teilweise ein besonderes Flair, denn manchmal findet die Spielersitzung in einem unbesetzten Fremdenzimmer statt, da die Gasträume und der Saal belegt sind. Bei Siegesfeiern sitzt man dichtgedrängt im Türmchen des Lokals.

Als Vereinswirt betreibt Wolfgang Tummescheit nach dem Neubau des Umkleidehauses auf der Freundschaftsinsel noch für kurze Zeit den Clubraum des MFV 08 bei den Heimspielen. Nach der „Lindenlust“ übernimmt er von Friedel Höch das älteste Gasthaus der Stadt Melsungen „Zur Traube“.

Bis zu seinem Tod ein echtes Original: Wolfgang „Atze“ Tummescheit